Referent: Robin Forstenhäusler
Zeit: 27. September 2023, 19 Uhr
Ort: Café Cohrs, Lange Rötterstraße 60, 68167 Mannheim
Flyer: Probleme intersektioneller Theorie und Praxis
Intersektionalität ist in der aktivistischen wie akademischen Linken inzwischen zum geflügelten Wort geworden. In feministischen, antirassistischen und ökologischen Bewegungen gehört der Begriff fest zum Selbstverständnis dazu und auch im universitären Betrieb hat das ursprünglich aus der Jurisprudenz stammende Konzept eine Strahlkraft weit darüber hinaus bis in Pädagogik, Sozialwissenschaften und weitere Disziplinen entfaltet. Die Wortschöpfung, die auf die Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw zurückgeht, sollte ursprünglich dazu dienen, eine Leerstelle im Antidiskriminierungsrecht offenzulegen, indem der Fokus auf das komplexe Zusammenspiel bzw. die „Kreuzung“ (intersection) verschiedener Diskriminierungsformen gerichtet wird. Schwarze Frauen, so das Argument, würden nicht nur additiv als Schwarze und als Frauen diskriminiert, sondern sähen sich neuen Formen der Unterdrückung ausgesetzt. Von diesem Ursprung Ende der 1980er-Jahre bis zum heutigen gebetsmühlenartigen Rekurs auf Intersektionalität führt ein Weg, den nachzuvollziehen wichtig ist, will man verstehen, warum Jüdinnen und Juden zumeist nicht „mitgedacht“ werden.
Der Vortrag gibt eine Einführung in Crenshaws Konzept der Intersektionalität und zeigt seine Vorteile und Grenzen auf. Dabei wird sich zeigen, dass einige Probleme in der Theorie selbst angelegt sind, daraus allerdings kein negativer (oder positiver) Bezug auf Jüdinnen und Juden unmittelbar ableitbar ist. Im Folgenden wird die Geschichte einer linken Bewegung skizziert, die mit dem Untergang des Sowjetsystems und unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zusehends an politischer Urteilskraft verliert und Israel als Objekt der obsessiven Dämonisierung für sich entdeckt. Aus dieser Perspektive stellt das Konzept der Intersektionalität nicht nur einen theoretischen Fortschritt gegenüber demjenigen der Mehrfachdiskriminierung dar, sondern wird gemäß des mitgebrachten theorieleitenden Bedürfnisses angeeignet und zurechtgestutzt. In einer Welt, die man nicht mehr als Ganze begreifen will, weil man daran verzweifeln muss, sie zu verändern, in der die Aussichten auf eine emanzipatorische Bewegung auf Massenbasis verschüttet sind, dient Intersektionalität als Klammer, um die disparaten Kämpfe, die an verschiedenen Fronten geführt werden, zusammenzuzwingen – während es sich zugleich bestens mit dem innerhalb der Linken grassierenden Antizionismus verträgt.
Robin Forstenhäusler studiert Philosophie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg; er ist Autor und Mitherausgeber des Sammelbandes »Probleme des Antirassismus. Postkoloniale Studien, Critical Whiteness und Intersektionalitätsforschung in der Kritik (Berlin 2022, Edition TIAMAT)