Erst einmal möchte ich mich recht herzlich für die Einladung bedanken. Wenn ich das alles so richtig verstanden habe, bin ich hier, um ein wenig Hintergrundinformationen und einen historischen Überblick über das Konzept der Zweistaatenlösung zu präsentieren. Bei diesem geht es im Grunde darum, dass es eines Tages zwei Staaten geben sollte, also einen für Jüd*innen und einen für Araber*innen. Genau das gilt gemeinhin als eine Art Zauberformel, mit der sich der Konflikt zwischen Israel*innen und Palästinenser*innen lösen ließe.

Die Idee der Zweistaatenlösung hatte ihre große Konjunktur in den 1990er-Jahren, als der Friedensprozess von Oslo kurzzeitig die Hoffnung weckte, dass als Ergebnis von Verhandlungen neben dem Staat Israel auch ein palästinensischer Staat ins Leben gerufen und damit der Konflikt endgültig ad acta gelegt werden könnte. Doch wie wir alle wissen, hat die Geschichte einen etwas anderen Verlauf genommen, die Gründe dafür sind vielfältiger Art, ich werde im Verlauf des Abends einige skizzieren. Genauso werde ich auf einige essenzielle Punkte, Chancen und Fallstricke bei diesem Konzept zu sprechen kommen.

Trotz der aktuellen Lage, die eher auf eine Bewahrung des Status quo ausgerichtet ist, mit dem sich beide Konfliktseiten irgendwie ganz gut arrangiert haben: das Thema Zweistaatenlösung ist weiterhin auf dem Tisch. Zumindest die Bundesregierung in Berlin glaubt noch fest daran. Unabhängig von der Tagespolitik oder sonstigen Realitäten ist sie das Mantra von EU-Politiker*innen, insbesondere den deutschen Vertreter*innen dieser Zunft. Ein Beispiel: Als im August 2019 Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Berlin besuchte, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Zweistaatenlösung aus deutscher Sicht weiterhin Grundlage einer politischen Lösung bleibe. Und sogar im Koalitionsvertrag steht, dass sich die Bundesregierung für dieses Konzept einsetzen werde. Ob das alles noch mit den Realitäten zu tun hat oder bereits Wunschdenken ist, darüber können wir gern später diskutieren.

Was ich ebenfalls zu zeigen versuche, ist die Tatsache, dass das Konzept der Zweistaatenlösung älter ist als der Staat Israel und fast so alt wie der Nahostkonflikt und nur unter anderen Bezeichnungen damals schon auf der politischen Agenda stand. Und um das im historisch relevanten Kontext zu erfassen, würde ich gern zurückgehen auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Warum? Ganz einfach, durch die Niederlage des mit dem Deutschen Reich verbündeten Osmanischen Reiches, zu dem das Gebiet des heutigen Israel einige Jahrhunderte lang gehört hatte, wurden die Karten in der Region neu gemischt und in diversen Absprachen zwischen den alliierten Mächten die Grenzen all jener Staaten gezogen, die irgendwann in den Jahrzehnten danach ihre Unabhängigkeit erreichen sollten und bis heute die eigentlichen Akteure in der Region sind. Und das umfasste eben auch das Gebiet, das damals als Palästina bezeichnet wurde und das war zu diesem Zeitpunkt das Terrain des heutigen Israel mitsamt den Gebieten, die unter der Bezeichnung Westjordanland und Gaza bekannt sind, aber auch – und das wissen heute nur noch die wenigsten – des heutigen Königreichs Jordanien.

Von Großbritannien im Verlauf des Weltkriegs besetzt, wurde daraus ein sogenanntes Mandatsgebiet1. Das heißt, der Völkerbund hatte Großbritannien dazu beauftragt, eine Form der Aufsicht und Vormundschaft einzurichten, um diese Territorien so zu entwickeln, dass sie eines Tages in die Unabhängigkeit entlassen werden können. Im Fall Palästinas wurde dazu noch die berühmte Balfour-Erklärung von 1917, in der Großbritannien die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina befürwortete, in das Mandat inkorporiert. In dieser Formulierung »in Palästina« steckt bereits der Ansatz einer Zweistaatenlösung, wenn man so will. Schließlich ist nicht von einem »Palästina als nationale Heimstätte« des jüdischen Volkes die Rede, sondern nur von einem Teil des Landes, was eben die Option in sich birgt, auch eine zweite Entität auf diesem Gebiet zu errichten. Bereits 1922 trennten die Briten das Gebiet Transjordanien von Palästina administrativ ab und machten daraus ein Emirat, regiert vom haschemitischen Königshaus, das zuvor die Engländer im Kampf gegen die Osmanen unterstützt hatte. Damit wurde auch das Gebiet östlich des Jordans als potenzieller Ansiedlungsraum für Jüd*innen ausgeklammert. Wir haben also im Groben und Ganzen eigentlich schon zwei Gebilde in Palästina, nur waren es noch keine unabhängigen Staaten. Und sie stellen natürlich auch nur bedingt einen Lösungsansatz für den späteren Konflikt dar.

Auch tat sich eine Menge in Sachen Bevölkerung. Vielleicht dazu ein paar Zahlen: Zu Beginn des Ersten Weltkriegs lebten in Palästina westlich des Jordans knapp 800.000 Menschen, rund 657.000 davon muslimische und 81.000 christliche Araber*innen sowie rund 60.000 Jüd*innen. 1939 waren es bereits 1,5 Millionen, 920.000 muslimische, 116.000 christliche Araber*innen und 450.000 Jüd*innen. Dass der Zuwachs des jüdischen Bevölkerungsanteils durch Zuwanderung von Jüd*innen aus Europa, insbesondere nach 1933 erfolgte, ist keine Überraschung. Aber aufgrund der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung unter britischer Herrschaft war das Land auch für Zuwanderer aus der arabischen Welt interessant geworden. Mindestens 100.000 kamen aus dem Hejaz2 oder sonst wo her ins Land. Genau das wird in den Diskussionen zum Konflikt heute ebenfalls gern ignoriert und immer nur auf die jüdische Einwanderung und zionistische Landnahme verwiesen.

Außerdem gab es bereits damals Gewalt, sodass auch dies kein Phänomen war, das erst 1948 mit der Staatsgründung Israels einsetzte. Eine der ersten größeren Unruhen war die von 1921 in Jaffa. Nach Ausschreitungen auf einer ungenehmigten 1.-Mai-Demo kam es zu Pogromen gegen Jüd*innen. Die Folge damals: Die jüdische Stadt Tel Aviv wurde administrativ von der überwiegend arabischen Stadt Jaffa getrennt – ein geradezu symbolträchtiger Schritt, der in den 1950er-Jahren wieder rückgängig gemacht wurde. 1929 die nächste: Der Mufti von Jerusalem Amin al-Husseini – später ein notorischer Unterstützer Nazi-Deutschlands – behauptete, Jüd*innen würden die Kontrolle über den Tempelberg anstreben – auch das ein bekannter Vorwurf, der sich bis in die Gegenwart gehalten hat und immer wieder für Ausschreitungen sorgt. Die Folgen damals: über 130 Tote, darunter auch die knapp 70 Opfer des Pogroms in Hebron, nachdem dort Araber*innen die alteingesessene jüdische Gemeinde massakriert hatten. Und die Einsetzung einer der ersten aus einer Reihe von Kommissionen, die nach den Ursachen fragte, Lösungsvorschläge erarbeitete und daraufhin unter anderem die Einschränkung der jüdischen Einwanderung empfahl. 1936 begann dann der große arabische Aufstand, der bis 1939 andauerte. Auf die Details werde ich jetzt nicht näher eingehen. Nur so viel: Zur Analyse der Konfliktursachen und Sondierung von Lösungsansätzen wurde Ende 1936 die sogenannte Peel-Kommission eingerichtet, die dann im Juli 1937 ihre Empfehlungen aussprach: Ein Fünftel des Landes sollte ein jüdischer Staat, Transjordanien und die verbliebenen Gebiete sollten zu einem arabischen Staat werden. Jerusalem und ein bis zum Meer reichender Korridor sowie Enklaven bei Haifa und Akaba wären diesem Konzept zufolge weiterhin unter britischer Mandatsherrschaft verblieben. Wir haben es dabei bereits schon recht konkret mit einem Zweistaatenkonzept als Lösungsmodell zu tun. Die Jüd*innen akzeptierten den Vorschlag, die Araber*innen lehnten ihn ab.

Dieser Vorschlag bildete dann auch die Ausgangsbasis für den Teilungsplan der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Krieg hatte Großbritannien zunehmend Probleme bekommen und auch weniger Interesse, die Kontrolle über Palästina aufrechtzuerhalten, weshalb London 1947 das Mandat an die Vereinten Nationen, Nachfolger des Völkerbunds, zurückgab. Daraufhin beschloss die UN-Vollversammlung die Einrichtung des United Nations Special Committee for Palestine, kurz UNSCOP. Es sollte Pläne für eine Teilung Palästinas ausarbeiten, wobei man ganz klar an die Empfehlungen der bereits erwähnten Peel-Kommission anknüpfte. Diese wurden dann der UN am 29. November 1947 zur Abstimmung vorgelegt. Notwendig war eine Zweidrittelmehrheit. Der Entscheidungsprozess selbst besaß eine enorme Dramatik. Der Jischuw, also die gesamte jüdische Bevölkerung des vorstaatlichen Palästina, saß gespannt vor den Radios, um das Prozedere im fernen Amerika zu verfolgen. 33 Nationen stimmten damals für die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat, darunter die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und Frankreich. Die 13 Gegenstimmen kamen wenig überraschend aus der arabischen Welt, außerdem aus Kuba und Griechenland. Zehn Länder, darunter Großbritannien, enthielten sich der Stimme. Und London erklärte daraufhin, bis zum 15. Mai 1948 seine gesamten Streitkräfte aus Palästina abziehen zu wollen.

Wie sah die Zweistaatenlösung damals aus? Der Negev, die Küstenebene sowie das Gebiet westlich des Kinnereth waren dem jüdischen Staat zugeschrieben worden. Aus mehr als den Gebieten des heutigen Westjordanlandes, dem Gazastreifen plus weiterem Land bis zur heutigen Stadt Aschdod sowie den Territorien im Norden rund um Akko wäre der arabische Staat geworden, den es bekanntlich nicht geben sollte. Während die Jüd*innen den Teilungsplan akzeptierten, sagten alle Araber*innen konsequent Nein. Schon ab Januar 1948 intervenierten syrische und ägyptische Freischärler, griffen jüdische Siedlungen an, in Palästina selbst herrschten bereits bürgerkriegsähnliche Zustände und am 15. Mai 1948, also dem Tag, an dem die israelische Unabhängigkeit ausgesprochen wurde, wurde daraus ein handfester Krieg, als die Streitkräfte des Libanon, Syriens, Jordaniens, des Irak und Ägyptens Israel angriffen. Wie wir alle wissen, ging Israel aus diesem ersten großen militärischen Konflikt als Sieger hervor. Und aus dem arabischen Staat wurde nichts. Ägypten besetzte das Gebiet des heutigen Gazastreifens und Jordanien das Westjordanland sowie Ostjerusalem. Damit war die Zweistaatenlösung erst einmal vom Tisch ‒ und das für eine ganze Weile.

Erst nach dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg im Juni 1967 tauchte sie wieder auf. Aber nur indirekt. In der UN-Resolution 242 vom 22. November 1967, gemeinhin als einer der Meilensteine auf dem Weg hin zu einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts betrachtet, war die Rede von der »... Unzulässigkeit, Territorien durch Kriege zu erobern, und die Notwendigkeit, für einen gerechten und dauerhaften Frieden zu wirken, der es jedem Staat in der Region erlaubt, in Sicherheit zu leben«. Israel hätte sich demzufolge aus den damals eroberten Gebieten, dem Gazastreifen, dem Westjordanland und den Golanhöhen, zurückziehen sollen, was an der konsequenten Blockadehaltung der arabischen Staaten jedoch scheitern sollte. In Konsequenz hätten sich aber auch Ägypten und Jordanien aus den Gebieten verabschieden müssen, die sie sich 1948 völlig unrechtmäßig unter den Nagel gerissen hatten. Folgerichtig wurde es still um die Idee einer Zweistaatenlösung.

Ich mache jetzt einen kleinen Sprung in die späten 1970er-Jahre, als Israel und Ägypten unter amerikanischer Vermittlung ihren Friedensvertrag aushandelten. Auch die Palästinenserproblematik stand damals auf der Tagesordnung. Beide Seiten sprachen sich für eine Lösung aus, und zwar in Form einer Autonomielösung. Weil aber auf palästinensischer Seite niemand aus dem Westjordanland oder dem Gazastreifen mit Israel reden wollte und die damals vor allem durch spektakuläre Terroraktionen bekannte PLO für Israel nicht infrage kam, verliefen die Gespräche im Sand. Sehr wohl aber tat sich zehn Jahre später, 1988, etwas, als die PLO eine Art palästinensische Unabhängigkeitserklärung verfasst hatte, die auf den Teilungsplan von 1947 Bezug nahm, was als indirekte Anerkennung der Zweistaatenlösung interpretiert werden konnte.

Erneut mache ich einen Zeitsprung und gehe in die 1990er-Jahre. Wie bereits am Anfang angedeutet, war die Zweistaatenlösung die tragende Idee im sogenannten Prozess von Oslo. Die anfänglich geheim geführten Gespräche zwischen Vertretern Israels sowie der PLO in der norwegischen Hauptstadt hatten die am 13. September 1993 in Washington unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit von Jitzchak Rabin, Schimon Peres und Jassir Arafat unterzeichnete »Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung«, auch bekannt als »Oslo I«, zum Ergebnis. Darin ging es um den Abzug israelischer Truppen aus Teilen der besetzten Gebiete sowie die Einrichtung einer palästinensischen Interimsbehörde, die dann durch das Gaza-Jericho-Abkommen vom 4. Mai 1994 Realität wurde. In Oslo I wurden die heikelsten Themen, also die Flüchtlingsfrage und der zukünftige Status Jerusalems, ganz bewusst ausgeklammert; ebenso das Thema jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten. Ob das eine gute oder schlechte Idee war, darüber wird bis heute gestritten. Am 28. September 1995 erfolgte schließlich die Unterzeichnung von Oslo II, wonach das Westjordanland in drei Zonen aufgeteilt wurde: in Zone A, rund 17,2 Prozent des Territoriums, die ausschließlich unter palästinensische Kontrolle kamen, in Zone B, 23,6 Prozent, die unter palästinensische Verwaltung kamen, aber in denen die israelische Armee weiterhin für die Sicherheit zuständig blieb, sowie in Zone C, die übrigen 59 Prozent, die erst einmal unter alleiniger israelischer Kontrolle verblieben.

Im Sommer 2000 kam es dann zu den berühmten Verhandlungen von Camp David, die unter der Ägide des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton zwischen Arafat und Ministerpräsident Ehud Barak stattfanden. Man wollte quasi im Hauruckverfahren den israelisch-palästinensischen Konflikt lösen, indem man einen Plan diskutierte, aus 92 Prozent des Westjordanlandes sowie dem gesamten Gazastreifen einen palästinensischen Staat zu schaffen. Drei große Siedlungsblöcke wären demzufolge Israel zugeschrieben worden, wobei Israel selbst einige wenig besiedelte Gebiete den Palästinenser*innen als Ausgleich überlassen hätte. Sogar für Jerusalem gab es einen ziemlich konkreten Plan, nach dem man einige arabische Bezirke sowie die muslimischen und christlichen Teile der Altstadt der Souveränität eines Staates Palästina unterstellt hätte, ebenso die Obhut über den Tempelberg mit dem Felsendom und der al-Aqsa-Moschee, die Souveränität dieses Areals aber bei Israel belassen hätte. Hauptstadt des Staates Palästina hätte einer der Ostbezirke werden können, wo dann auch die palästinensische Regierung samt all ihrer Institutionen ihren Platz hätte einnehmen sollen – offiziell und nach außen wäre dann der Traum von einem Staat Palästina mit der Hauptstadt Jerusalem in Erfüllung gegangen. Nie war man einer Zweistaatenlösung näher. Und trotzdem scheiterte sie.

Warum musste Camp David scheitern? Zum einen war es das schlechte Timing: Das Verhältnis zwischen Barak und Arafat befand sich gerade an einem Tiefpunkt. Einige israelische Verpflichtungen, darunter der immer wieder verschobene Rückzug aus Teilen des Westjordanlandes, waren unerfüllt geblieben und hatten ebenso wie der stetige Ausbau der Siedlungen das Klima im Vorfeld belastet. Aber wie es Jair Hirschfeld, einer der Architekten des Abkommens von Oslo, rückblickend analysierte, gab es noch ganz andere Ursachen: »Zu den Fragen Jerusalem und Flüchtlinge hatte keine Seite ausreichend Vorarbeit geleistet. Schlimmer noch: Das Verhandlungsteam hatte es versäumt, eine Rückzugsposition abzustimmen, falls der Gipfel scheitern sollte. Der Grund: Barak hoffte auf einen ›Alles-oder-nichts‹-Deal, da er bei einer schrittweisen Annäherung die klassische Salamitaktik der Palästinenser*innen fürchtete.« Zudem stand Barak innenpolitisch mächtig unter Druck, da die bereits Mitte der 1990er-Jahre einsetzende Welle der Selbstmordattentate gegen israelische Zivilist*innen jedes Zugeständnis an die Palästinenser*innen immer schwieriger machte.

Schließlich hatte Arafat selbst ein Scheitern provoziert, indem er forderte, Russland und die europäischen Staaten in die Friedensbemühungen mit einzubeziehen, womit er seiner tiefen Skepsis gegenüber Barak und Clinton ebenso unverblümt Ausdruck verliehen hatte wie auch seinem Hang, sich nicht festlegen zu wollen und Entscheidungsprozesse zu verzögern. Außerdem beharrte er auf die uneingeschränkte Souveränität über das gesamte Ostjerusalem. Als eigentlicher Knackpunkt erwies sich aber die Flüchtlingsfrage: Arafat pochte auf das Rückkehrrecht aller damals offiziell über 3,6 Millionen als Flüchtlinge gezählten Palästinenser*innen in der arabischen Welt und sonst wo. Diese sollten nicht nur in einen zukünftigen Staat Palästina zurückkehren dürfen, sondern auch nach Israel selbst. Zwar zeigte Barak sich bereit, im Rahmen eines Familienzusammenführungsprogramms eine begrenzte Anzahl Palästinenser*innen aufzunehmen – die ungehinderte Zuwanderung wurde jedoch abgelehnt, weil diese die demografischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt und über kurz oder lang den Staat Israel von innen heraus zerstört hätte. Letztlich aber scheiterte Camp David an den grundverschiedenen Haltungen beider Parteien gegenüber dem gesamten Friedensprozess: Während die Israel*innen glaubten, über die Zukunft des Westjordanlandes und des Gazastreifens verhandeln zu können und von den Palästinenser*innen Kompromisse erwarteten, meinten die Palästinenser*innen, dass die 1993 in Oslo erfolgte Anerkennung des Staates Israels in den Grenzen von 1967 schon ihr eigentlicher und letzter Kompromiss gewesen war.

Trotz dieses Eklats war die Zweistaatenlösung auch weiterhin Gegenstand diverser Friedensbemühungen, so ist z.B. die Roadmap, eine Art Fahrplan in Richtung Frieden und palästinensische Eigenstaatlichkeit, zu nennen. Dabei handelte es sich um ein dreistufiges Konzept zur Lösung der Konfliktsituation, das vom sogenannten Nahost-Quartett, den USA, der EU, der UN und Russland im September 2002 ausgearbeitet wurde. Die erste Stufe war ursprünglich für den Mai 2003 angesetzt und forderte von den Palästinenser*innen ein Ende des Terrors sowie Reformen ihrer absolut korrupten wie unfähigen Autonomiebehörde. Die Israel*innen sollten einen Baustopp der Siedlungen verfügen, sich klar zur Zweistaatenlösung bekennen und den Abbau erster Siedlungen einleiten. In einer zweiten Phase bis zum Dezember 2003 sollte eine internationale Konferenz die Errichtung eines autonomen Staates Palästina in provisorischen Grenzen in die Wege leiten. Auf einer für Ende 2005 datierten weiteren internationalen Konferenz hätten dann die Endstatusfragen sowie Friedensverhandlungen mit den anderen arabischen Staaten auf dem Programm gestanden. Die Roadmap scheiterte an den nahöstlichen Realitäten, vor allem an der Terrorwelle der Zweiten Intifada, die im Herbst 2000 einsetzte. Als Gespenst geistert sie aber noch in den Diskussionen um einen Lösung des Konflikts herum.

Ebenfalls 2002 brachte der damalige saudische Kronprinz Abdallah einen Vorschlag zur Zweistaatenlösung aufs Tablett. Im Gegenzug für den völligen Rückzug aus allen 1967 eroberten Gebieten würden die arabischen Staaten den Kriegszustand mit Israel beenden und das Land anerkennen. By the way: Es tauchte Anfang der Nullerjahre auch die Dreistaatenlösung auf, nämlich die Rückgabe des Westjordanlandes an Jordanien und des Gazastreifens an Ägypten. Der Begriff ist überdies im Gebrauch, um den Realitäten in der Form gerecht zu werden, dass es sich mit Israel, dem von der Autonomiebehörde regierten Westjordanland und dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen bereits de facto um drei Entitäten handelt.

Die Knackpunkte, an denen die Zweistaatenlösung in der Vergangenheit immer wieder scheitern sollte, sind heute eigentlich die gleichen wie damals und ich habe sie bereits mehrfach erwähnt. Trotzdem möchte ich sie im Folgenden noch einmal näher skizzieren, weil ich glaube, dass diese Aspekte in der späteren Diskussion immer wieder auftauchen und eine Rolle spielen werden. Da ist zum einen die stets zu beobachtende Verweigerungshaltung der arabischen Seite, in irgendeiner Form einem Kompromiss zuzustimmen. Diese zieht sich wie ein roter Faden seit über hundert Jahren durch die gesamte Geschichte des Konflikts. Der israelische Außenpolitiker Abba Eban brachte 1973 den Unwillen der Araber*innen zum Frieden auf eine Formel, die ich sehr passend finde und die quasi zeitlos für die Palästinenser*innen ist: »Die Araber haben noch nie eine Chance verpasst, eine Chance zu verpassen.« Die Palästinenser*innen haben fortwährend auf das falsche Pferd gesetzt, geradezu verheerend war beispielsweise ihre Parteinahme zugunsten des irakischen Diktators Saddam Hussein im Golfkonflikt 1990/91. Und sie haben sich als absolut unfähig erwiesen, in dem Zeitraum, in dem es möglich war, also den 1990er-Jahren, funktionierende Strukturen aufzubauen, die so etwas wie den Willen zu einem demokratischen Gemeinwesen erkennen lassen. Auch das hat Tradition. Wer immer eine Position vertrat, die von der der jeweiligen Führungsfigur abwich, hatte sein Leben verwirkt. Als in den 1930er-Jahren der unsägliche Mufti von Jerusalem sich als nationaler arabischer Führer verstand – Begriffe wie »Palästinenser« gab es zu dieser Zeit übrigens noch nicht, auch das ist ein Produkt der 1960er- und 1970er-Jahre –, wurden Mitglieder der Naschaschibis, einer einflussreichen arabischen Familie, die eher auf Ausgleich mit den Jüd*innen ausgerichtet waren, reihenweise ermordet. Auch Issam Sartawi, ein hochrangiges Mitglied der PLO-Führung und Berater Arafats, der Anfang der 1980er-Jahre Friedensfühler Richtung Israel ausstrecken wollte, wurde 1983 bei einem Treffen der Sozialistischen Internationalen sofort ermordet.

In den 1990er-Jahren gab es zudem das unsägliche Milizwesen im Reich Arafats, diverse Figuren der zweiten Reihe machten eigene Politik und Arafat hatte es nicht verstanden, ein Gewaltmonopol der Autonomiebehörde zu errichten und diese verschiedenen Fraktionen zu bekämpfen, sondern nutzte sie für seine ganz eigenen taktischen Machtspielchen. Arafat selbst trug dabei alle Züge eines despotischen Herrschers, der typisch für die Region war und ist. Nicht einmal die Gestaltung von Briefmarken konnte ohne ihn geschehen. Ich vergleiche das gern mit David Ben-Gurion, der es geschafft hatte, Israel in die Unabhängigkeit zu überführen. Als die Milizen der ihm oppositionell eingestellten Revisionist*innen selbst Waffen importierten und sich nicht der neuen Staatsgewalt unterwerfen wollten, hatte er keine Probleme, Gewalt gegen Jüd*innen einzusetzen. Ebenso sorgte er in den eigenen Reihen dafür, dass es keine Milizen gab, sondern nur die Armee eines Staates, dessen Regierung demokratisch legitimiert ist. Die vorstaatlichen Palmach-Einheiten, so etwas wie die militärische Elite des Jischuws, mussten sich gleichfalls auflösen und in die Streitkräfte integrieren. Das sind genau diese essenziellen Schritte beim Nation Building, die die Palästinenser*innen völlig versäumt hatten.

Zugleich konnte man beobachten, wie biografische Momente eine Rolle bei Arafat spielten. Wer wie er sich jahrzehntelang in der Pose des Befreiungskämpfers geübt hat, hat offensichtlich Schwierigkeiten, diese Rolle endgültig abzulegen, wenn es die Verhältnisse erfordern. Auch das mag ein Grund für das Scheitern von Camp David im Sommer 2000 gewesen sein. Denn wenn der Konflikt gelöst ist, was wird dann aus der eigenen Person? Der Aufbau demokratischer Strukturen war weder gewollt noch möglich. Und Arafats Nachfolger im Amt, der mittlerweile 85-jährige Mahmud Abbas, begeht nun das 15. Jahr seiner vierjährigen Amtsperiode. 2006 fanden letztmalig Wahlen statt, die letzten Endes dazu führten, dass es zwei palästinensische Entitäten gibt: die korrupte Autonomiebehörde in Ramallah, die über Teile des Westjordanlandes herrscht, und die Islamisten der Hamas, die es geschafft haben, den Gazastreifen in ein völlig heruntergewirtschaftetes radikalislamistisches Gangland zu verwandeln, das in vielerlei Hinsicht vom Iran abhängig wurde. Beide sind sich spinnefeind, was selbstverständlich jede Form von Verhandlungen mit den Palästinenser*innen auch wieder obsolet macht, weil es keine Stimme gibt, die für alle spricht.

Außerdem hat sich die Autonomiebehörde mit der Situation, wie sie sich seit bald zwei Jahrzehnten darstellt, wunderbar arrangiert: Man kassiert internationale Hilfsgelder, präsentiert sich als ständiges Opfer israelischer Aggressionen, will aber auf keinen Fall, dass sich daran viel ändert, denn dann müsste man ja Verantwortung übernehmen. »So lange sie unter der Besatzung leben, kommen die Palästinenser*innen in den Genuss der größten Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, Milliarden von Dollar sowohl als Unterstützung als auch als Bestechung, den perfekten Ausreden, warum sie nichts in die Zukunft investieren könnten und ganzen Armeen von leichtgläubigen Unterstützer*innen in der westlichen Welt, die ihnen dann auch noch helfen, Israel zu delegitimieren«, bringt es der Politikwissenschaftler Dan Schueftan auf den Punkt.

Ein gepflegtes Interesse daran, dass irgendwie alles so bleibt, wie es ist, haben aber auch die Israel*innen. Der Status quo kann wunderbar aufrechterhalten werden mit dem Hinweis, dass es ja sowieso niemanden auf palästinensischer Seite gibt, mit dem man ernsthaft und verbindlich reden kann. Außerdem weiß man in Jerusalem, dass jede Form eines territorialen Kompromisses aktuell innenpolitisch schwer durchsetzbar geworden ist. Die Nationalreligiösen und Teile der Ultraorthodoxie würden jeder Regierung sofort die Gefolgschaft verweigern und diese zu Fall bringen.

Jeder Friedensplan für die Zukunft, der eine Zweistaatenlösung zum Ziel hat, ist sehr wahrscheinlich aus einer ganzen Reihe von Gründen und den facts on the ground aktuell sowieso zum Scheitern verurteilt. Die Anzahl der Israel*innen, die mittlerweile aus unterschiedlichsten Motiven im Westjordanland und in Ostjerusalem leben, beträgt heute rund 700.000. Es ist kaum vorstellbar, dass die großen Siedlungsblöcke Maale Adumim, Modiin Illit, Ariel, Gush Etzion und Givat Zev, in denen 80 Prozent der über 400.000 Israel*innen, die im Westjordanland leben, so einfach aufgegeben werden. Das wissen auch alle Beteiligten, weshalb nur die Entfernung kleinerer Ortschaften und Außenposten eine Option bleibt, was allein schon schwer durchsetzbar genug ist, aber klappt, wenn der politische Wille da ist – wie der Abzug aus dem Gazastreifen 2005 bewiesen hat. Nur der Gebietsaustausch, wie er in Camp David auf dem Programm stand, kann somit einen Ansatz darstellen. Auch die israelische Seite hat in der Vergangenheit einige Möglichkeiten verpasst, vor allem radikale Siedler*innen in ihre Schranken zu verweisen. Ein Beispiel: Nach dem Massaker von Baruch Goldstein 1994 am Grab des Patriarchen in Hebron, bei dem er 29 betende Araber erschossen hatte, wäre in Israel die Entfernung der israelischen Siedler*innen aus der Altstadt von Hebron durchaus auf Zustimmung gestoßen. Und das hätte den Prozess von Oslo weiter vorantreiben können.

Jerusalem und der Status der Stadt sind zweifellos ein weiterer Streitpunkt von zentraler Bedeutung, wobei bereits zahlreiche Konzepte im Raum stehen, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannten und ihre Botschaft dorthin verlegten, ist dabei übrigens kein Thema, weil sich dieser Entschluss nur auf Westjerusalem bezieht. Schließlich befanden sich dort in den ersten Jahrzehnten nach der Staatsgründung zahlreiche Botschaften, darunter die der Niederlande. Nur hat das niemanden interessiert. Relevante Fragen bleiben Ostjerusalem und die Frage einer Staatsangehörigkeit seiner Einwohner*innen sowie die Kontrolle der sogenannten heiligen Stätten. Aber auch da sind alle Optionen bereits einmal besprochen worden und im Wesentlichen gibt es bereits Lösungen, bei denen Ostjerusalem Hauptstadt zweier Staaten sein könnte, deren Institutionen wie Parlament und Regierungssitz sich auf Ost und West verteilen würden, oder die Einwohner*innen Ostjerusalems Staatsbürger*innen eines künftigen palästinensischen Gemeinwesens sein könnten, während Israel die Kontrolle besitzt, die Verwaltung aber geteilt wird. Sogar für die sogenannten heiligen Stätten gäbe es Möglichkeiten, so könnte zum Bespiel die Kontrolle der Fläche auf dem Tempelberg in Händen eines palästinensischen Staates liegen, während die Kontrolle über das Fundament mit der Klagemauer an Israel ginge. Genau diese Themen ließen sich durchaus auf dem Verhandlungsweg lösen, wobei die anschließende Umsetzung und Implementierung das eigentliche Problem wäre.

Generell gibt es aber auch andere Gründe, warum das Konzept Zweistaatenlösung aktuell kaum mehrheitsfähig ist. Die Israel*innen haben seit der Jahrtausendwende einige sehr unangenehme Erfahrungen machen müssen, was es heißt, wenn man sich aus Gebieten zurückzieht: Der vollständige Abzug der israelischen Truppen ohne Vorbedingungen aus der Sicherheitszone im Südlibanon im Mai 2000 hat nur dazu geführt, dass die Schiitenmiliz Hisbollah sich nun an der Nordgrenze zum Libanon genau vor israelischen Ortschaften eingegraben hat und 2006 einen Krieg vom Zaun brach. Ähnliches brachte der bedingungslose Abzug aus dem Gazastreifen 2005, der zugleich zur Räumung aller Siedlungen dort führte. Die Folge: ein »Hamastan«, aus dem Israel regelmäßig mit Raketen beschossen wird. Der fortlaufende Beschuss hat 2014 dazu geführt, dass der Ben Gurion Airport, Israels einzige Verbindung ins Ausland, für Tage nicht mehr angeflogen wurde. Einige Experten hatten spätestens zu diesem Moment die Idee einer Zweistaatenlösung endgültig für tot erklärt. Die weit überwiegende Mehrheit der Israel*innen ist, unabhängig ob sie sich politisch links, rechts oder sonst wie verorten, überzeugt davon, dass es geradezu suizidal ist, die Kontrolle über das nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernte Westjordanland abzugeben – zu sehr weiß man, dass mit einfachsten militärischen Mitteln von dort aus die Lebenslinie ins Ausland unterbrochen werden könnte. Und man hat die Erfahrung gemacht, dass ein einseitiger Rückzug ohne Vorverhandlungen vielleicht keine so kluge Sache ist.

Aber, und das verweist auf die Widersprüche, die die Umsetzung einer Zweistaatenlösung erschweren: Zwar hat die Mehrheit der Israel*innen kein nachdrückliches Interesse daran, dass das biblische Kernland jüdisch ist und bleibt – die Sympathien für die Siedlerbewegung sind aus den unterschiedlichsten Gründen nicht flächendeckend. Bis heute befürwortet die Mehrheit der Israel*innen die Idee eines palästinensischen Staates – aber: nur nicht unter den gegebenen Umständen. Die Anzahl derer, die eine Annexion für eine gute Idee halten, wächst zwar kontinuierlich, ist aber eine Minderheitenmeinung. Unabhängig davon, ob man die Idee gut oder schlecht findet, herrscht weitestgehend Einigkeit in der Einschätzung, dass ein palästinensischer Staat gewiss nicht den ultimativen Frieden einleitet und derzeit unmöglich ist.

Zugleich: Wie auch der bereits erwähnte Prof. Schueftan, der fern davon ist, ein Linker zu sein, ist die Mehrheit gegen eine Annexion, weil über kurz oder lang aus demografischen Gründen ein binationales Gemeinwesen zu entstehen droht und damit das Projekt jüdischer Staat gescheitert wäre. Anders dagegen die Palästinenser*innen, die sich manchmal auf die Einstaatenlösung geradezu freuen, wohl wissend, dass sie demografisch die Oberhand hätten. So wie der als gemäßigt geltende Mustafa Barghuti, der sich 2005 als Nachfolger Arafats zu positionieren versuchte und aus Frust über die Korruption der Autonomiebehörde seine sogenannte Palästinensische Nationale Initiative ins Leben rief: »Unsere Alternative sieht folgendermaßen aus«, erklärte er der Rosa-Luxemburg-Stiftung. »Wenn die Israelis die Zweistaatenlösung absichtlich zerstört haben, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als für eine Einstaatenlösung mit allen demokratischen Rechten zu kämpfen.« Dahinter steckt nichts anderes als die Idee, Israel demografisch in die Knie zwingen.

Die Konsequenzen der Einstaatenlösung skizziert ebenfalls David Grossman, einer der bedeutendsten Schriftsteller der israelischen Gegenwartsliteratur: »Wenn die israelischen Politiker über einen binationalen Staat sprechen, also über ein Land mit zwei Völkern, dann sprechen sie nicht darüber wie Menschen auf einem hohen Entwicklungsstand in Europa, also zum Beispiel wie die Menschen in Belgien mit ihren Flamen und den Wallonen. Nein, sie meinen dann entweder einen Apartheidstaat oder einen Staat, der kein jüdischer Staat mehr sein wird, denn wenn die Palästinenser gleiches Wahlrecht bekommen, dann wird ein solcher Zwei-Völker-Staat bald ein palästinensischer Staat mit einer jüdischen Minderheit werden.« Und weil die Formel »Land für Frieden« in der bisherigen Variante sich in den vergangenen 30 Jahren als Illusion herausgestellt hat, bliebe eigentlich nur eine Option: eine kontrollierte palästinensische Selbstverwaltung, die nicht in Gefahr laufen kann, von einem Akteur wie dem Iran als Marionette gegen Israel missbraucht zu werden und über keine Armee und nur eingeschränkte außenpolitische Kompetenzen verfügt. Ob man das Staat nennen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Dann gibt es noch Konzepte, wie sie der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn vorschlägt: »Es ist eine Mischung aus Staatenbund und Bundesstaat. Heißt ganz konkret: Ein Bundesstaat, eine Bundesrepublik Palästina, bestehend zunächst einmal aus dem Westjordanland erstens, zweitens aus dem Gazastreifen, und diese Bundesrepublik beziehungsweise dieser Bundesstaat Palästina sollte mit dem jüdischen Staat Israel inklusive seiner arabischen Bevölkerungsminderheit einen Staatenbund eingehen, eine Mischung aus Bundesstaat und Staatenbund.« Auch für im Westjordanland lebende jüdische Siedler*innen hat er eine Vision: »Die müssen da bleiben! Alles andere wäre das Szenarium eines Bürgerkrieges, und dann wird sich es so erweisen, dass die jüdischen Siedler als israelische Bürger im Bundesstaat Palästina ganz normale Bürger sind als Ausländer. Wir haben ja in Deutschland und in Westeuropa auch viele Millionen Ausländer und wir haben keinen Krieg.« Wolffsohn spricht damit ein Thema an, dass gern in den Diskussionen hierzulande ausgeblendet wird: Die Zweistaatenlösung hat deswegen so viele Befürworter*innen, weil so der Eindruck entsteht, dass am Ende eines Friedensprozesses zwei unabhängige Staaten stehen, die ethnisch irgendwie einheitlich sind und die Welt dann in Ordnung ist. Dabei wird gern vergessen, dass 20 Prozent der Israel*innen, die in den Grenzen von 1967 leben, Araber*innen sind und zugleich israelische Staatsbürger*innen. Warum soll es nicht umgekehrt möglich sein, dass Israel*innen nicht auch im Westjordanland leben können? Mit dem Gazastreifen hat man ja schon eine Art judenreines Territorium. Wieso soll ein zweites geschaffen werden?


  1. Neben Palästina wurde auch der Irak zu einem britischen Mandatsgebiet. Frankreich erhielt im Gegenzug die Kontrolle über den heutigen Libanon und das heutige Syrien. 

  2. Landschaft im westlichen Saudi-Arabien.